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interview

"Tonale Mandalas 
stadtflüchtiger Phantasie" 


Ein Interview mit DIRK SCHLÖMER von ORNAH-MENTAL


DIRK SCHLÖMER ist Multiinstrumentalist und Grenzmusiker par excellence. Leidenschaftlich verknüpft er aktuelle Trends mit dem Fundus seiner eigenen musikalischen Sozialisation in den 1970ern. Tonführend ist er bei DAS ZEICHEN, einem Act in der Spannung von ambient music, DarkWave und spirituell orientierter Psychedelia aus westgermanischen KrautRock-Zeiten. Mit dem experimentellen Projekt KLANGRAUM-BERLIN in Zusammenarbeit mit ADRIAN WELLMANN wagte er sich gar in die Gefilde einer "musique concrete".

ORNAH-MENTAL ist von seinen drei musikalischen Projekten sein persönlichstes und intensivstes. Artistische Spannungsbögen zwischen Orient und Okzident, Ambient und Dub, Gitarre und Keyboards: Der Mann will sich nicht festlegen lassen. Nach zwei eher orientalisch eingestimmten Veröffentlichungen von ORNAH-MENTAL kommt 'take time out' nun mediterran eingestimmt daher.  Woher kommt, wohin will DIRK SCHLÖMER?




























Discography





a to z
(African Dance Records/Nova Media, 2001)





testimony
(Goodlife/Zyx, 2004)





take time out
(Herzberg/In-Akustik, 2007)











all time dub-favourites of DIRK SCHLÖMER:

LOOP GURU
the third chamber

HYPNOTIX
witness of our time

NILS PETTER MOLVAER
khmer

BIM SHERMAN
it must be a dream

ASTRAL ASIA
alles

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Dub-O-Rama:
Hallo Dirk, das beeindruckendste Stück auf 'testimony', dem Vorgänger von 'take time out', ist nicht nur für mich 'cara-wahn (part 1)' ob seiner emotionalen Unmittelbarkeit. Zwischen Anmut und Glück, Schmerz und Verwirrung lassen sich stets neue Assoziationsreize aus der Tiefe dieses Instrumentaltracks herauslesen.

Dirk: Meine ersten Arbeiten an diesem Song gehen bis 1980 zurück, wenn meine Erinnerung nicht trügt, jedenfalls war ich gerade in meine erste eigene Bude eingezogen. Aber ich fand keine passende Ausarbeitung. So lag dieses Thema viele Jahre in einer geistigen Schublade herum. Zwei Jahrzehnte später erinnerte ich mich beim Hören eines NATASHA ATLAS-Remixes wieder an meine ersten Ideen zu diesem Stück: deutlich schneller als in meiner eigenen Ursprungsfassung, hab ich den Beat gesampelt und mein eigenes Thema dazu gespielt: fantastisch. Aus diesem Schwung heraus setzte ich mich ans Klavier und nach 23 Jahren stellte ich den Song in dieser Version endlich fertig!

Dub-O-Rama: Auf dem neuen Album 'take time out' ist 'piece for peace' ein ähnlich starker, programmatischer Titel mit einem tiefen Bekenntnis zum Pazifismus. Auch hier wieder ein einzeln stehender Track, in dem Du unmittelbar zum Publikum zu sprechen scheinst, während Du in allen anderen Eigenfantasien anregen willst.

Dirk: Ich bin gar nicht so sicher, ob man dieses offensichtliche "Stück für den Frieden" als Bekenntnis zum Pazifismus sehen muss, immerhin wird ja durch die jederzeit erweiterbare Liste von "Dingen im Kriegszustand" erstmal konstatiert, das Krieg wirklich in allen Lebensbereichen und auch in allen Gesellschaftsformen, zumindest heutiger Ausprägung, existiert. Es ist nicht einfach, diesen Krieg auf allen Ebenen loszuwerden.

Dub-O-Rama: 'Take time out' - sich nicht nur beruflich verpflichtet zu fühlen, auch für sich selber und damit für seine Liebsten dasein. Die Arbeit dient dem Menschen und nicht umgekehrt. Der Titeltrack gemahnt nicht zum Schlendrian, sondern zu dieser Bewusstheit.

Dirk: Vielen Dank für diese kurze Meditation über den Titel des Albums. Bisher hat mich kein Journalist darauf angesprochen, wahrscheinlich ist dieser Begriff zu geläufig, als dass er sonderlich zum Nachdenken anregt. Dabei ist diese Forderung aufs Leben übertragen eigentlich ziemlich radikal. Wirklich mal die Finger zu lassen von dem üblichen Tagesablauf, von dem Selbstverständnis, dass ja nun mal jeder von sich hat, um die Dinge auf sich zukommen zu lassen, dass wünschen sich die meisten Menschen, aber vielen fehlt doch der Mut. Oder es sind eben verantwortungsvolle Familienmenschen, die einfach keinen Weg raus aus dem Hamsterrad sehen.
TOCOTRONIC haben ja ein neues Album mit dem Titel "Kapitulation". Wenn ich meinen Namensvetter VON LOTZOW von der Band richtig verstanden habe, geht der gleichnamige Song in diese Richtung, dass die meisten Leute erst dann loslassen, wenn sie wirklich nicht mehr können, nicht mehr weiterwissen. Wobei ich den deutschen Begriff "Kapitulation" nicht ganz so angemessen finde, weil er diesen militärischen Unterton hat. Das englische "surrender" umschließt vielmehr diese Ebene, einfach loszulassen, alte Rollenbilder aufzugeben, eben eine Aus-Zeit nehmen, um in eine Ruhe zu kommen, so dass auch die innere Stimme, die Intuition wieder eine Chance hat, gehört zu werden.

Dub-O-Rama: Dem Titeltrack Deines Albums ist durchaus anzuhören, dass Du bei seiner Komposition an jene gedacht hast, die in der Tretmühle ihres Systems nicht mehr weiter wissen. Du hast ihn CURTIS MAYFIELD gewidmet. Was hat Dich dazu bewogen?

Dirk: Die Antwort ist denkbar einfach: Die Vocal-Samples auf diesem Track stammen von Curtis himself! Sie sind aus einer Ansage bei einem Konzert herausgeschnitten, wo er seine Band auf sehr bewegende Weise vorstellt- und deswegen hört man im Refrain immer "I love them too" - er meinte seine Musiker. Die Widmung kommt aus dem Gefühl, dass er ein ganz Großer war, viel zu früh starb und fast in Vergessenheit geraten ist.

Dub-O-Rama: 'Take time out' trägt einen Wandel von orientalischen zu mediterranen Themen in sich.

Dirk: Die ersten Titel für dieses Album hatten einfach diesen mediterranen Anstrich. Und dann war es vor gut einem Jahr so, dass ich zum ersten Male in meinem Leben ein Stipendium für vier Wochen in einem spanischen Zentrum für Kunst & Natur hatte. Ich habe also meinen Computer, einige Gitarren und einen Mini-Disc-Recorder mitgenommen, um dort zu komponieren. Eigentlich stand dabei gar nicht um ORNAH-MENTAL im Vordergrund. Ist eine längere Geschichte, denn dieser Kontakt war durch ein Projekt zustande gekommen, das ich letztes Jahr mit meinem alten Freund Adrian veröffentlicht habe: KlangRaum Berlin. Zur Veröffentlichung dieses Kunstprojektes, entstanden aus Field-Recordings in der Stadt, hatte meine Partnerin MARTINA GRÜNEWALD eine Kollektion an Video-Clips kreiert, die wir auch einige Male öffentlich gezeigt haben. Daufhin wurde die Idee an uns herangetragen, so etwas im krassen Kontrast auch einmal in ländlicher Umgebung zu machen - so ist in Farrera, in den katalanischen Pyrenäen ein ganz anderes Werk entstanden: "Pieces of Pallars", eine DVD aus Natur-Meditationen, ein Projekt von Martina und mir, für das wir bisher leider noch keine Firma finden konnten.
Quasi nebenbei sind aber auch eine Reihe weiterer Ideen für 'take time out' entstanden und gestärkt von vier Wochen unter der spanischen Sonne war für mich die Richtung noch klarer: das ganze Album in diesem südländischen Sound zu produzieren, die akustische Gitarre nach vorne zu stellen, kürzere Stücke zu bevorzugen.

Dub-O-Rama: Gegen Ende der Platte packst Du noch einmal die Gitarre aus, die dann zum dominierenden Instrument wird und an CARLOS SANTANA erinnert. Fast so, als wolltest Du für die nächste Veröffentlichung aufzeigen, eine Gitarristenplatte machen zu wollen. Was hat Dich dazu bewogen?

Dirk: Ich hab ORNAH-MENTAL von Anfang an als Kreuzung aus Dub & Gitarre gesehen. Zunächst, auf 'A to Z' hab ich mehr mit den Beats, Samples und Sounds gespielt, das war so 1998-2000. Da hab ich dem Gitarrero sicher nicht soviel Platz eingeräumt. Aber auf 'testimony' waren doch schon einige längere Solo-Passagen dabei, wenn auch eher mal im Dialog mit der Sitar. SANTANA würde ich gar nicht mal zu meinen wichtigsten Einflüssen als Gitarrist zählen, eher DAVID GILMOUR oder MICK TAYLOR, aber SANTANA ist eben auch mehr als ein Solo-Gitarrist, er ist einer der ganz großen Fusions-Künstler, ein Godfather of World-Music, um diesem eigentlich absurden Begriff die Ehre zu geben.

Dub-O-Rama: 'Elevando', der Opener, beginnt sehr dubby - ein fantastischer Track! Leider kommt fast nur noch 'take me to the beach' richtig dubby hinterher. Warum nicht mehr Dub, wie noch auf dem ORNAH-MENTAL-Debut 'a-z'?

Dirk: Ich muss gestehen, dass ich einen 'elevando' sehr ähnlichen Track lange an Platz 2 meiner Running-Order hatte. Dann fing ich an, einen der eher untypischen Titel, wie eben 'berlin attention' dahin zu pflanzen - und hab mir schließlich den Luxus geleistet, zwei komplett fertige Tracks nicht zu veröffentlichen. Aber ich finde 'berlin attention' eigentlich ziemlich roots-lastig, also insofern jetzt auch keinen Bruch mit Dub.
Ich habe das Gefühl, dass der Dub in einer mittelschweren Krise steckt. Viele Produktionen, auch von Acts die ich sehr mag oder mochte, tragen mich einfach nicht mehr so weit hinaus, es fehlen die echten Überraschungen. Deswegen riskiere ich andere Riddims, auch mehr durchkomponierte Tracks und sogar mal wieder einen deutschen Text...

Dub-O-Rama: ... drei deutsche Texte sinds dann doch geworden. Neben den bereits erwähnten 'berlin attention' und 'piece for peace' ist da noch der 'großstadt alli gator'. Eine Art Neue Deutsche Welle-Reminiszenz in WITT´scher Manier, die sich auch phantasievoll an Vorschulkinder richtet.

Dirk: JaJa - Vorschulkinder und andere Spassvögel- es gibt viel zu wenig DaDa-Texte in der Groove-Musik - zumindest auf deutsch!

Dub-O-Rama: Drehen wir das Rad der Geschichte zurück: Als Du nach ersten Erfahrungen in Kölner Amateurbands von TON STEINE SCHERBEN als Gitarrist 1983 eingestellt worden bist, dass muss doch der Wahnsinn für Dich gewesen sein!

Dirk: ...eigentlich erst mal nicht! Zum einen hatte ich mit meiner Band THE CÖLN bereits zwei Alben in den damals angesagtesten Studios Deutschlands aufgenommen und wir waren auch schon ausgiebig auf Tour, z.B. als Support für HERMANN BROOD oder ERIC BURDON. Zum Zweiten hatten die SCHERBEN für mich ganz ehrlich bis dahin nicht den Status einer Legende.
Auch das Leben in Fresenhagen, wo ich zwar nie eingezogen bin, aber doch vor jeder Tour so drei bis vier Wochen gewohnt habe, war zunächst eher bescheiden. Erst nach einigen Tagen auf Tour, genauer, bei den ersten zwei Berliner Konzerten, im Mai 1983, lief mir ein Schauer über den Rücken. Das Tempodrom & das Quartier Latin ausverkauft, die abgedrehtesten Freaks von ganz Berlin in den ersten Reihen und alle konnten die Texte auswendig - das waren sicher magische Stunden in der Geschichte des deutschen Rock'n'Roll.

Dub-O-Rama: Kann es sein, dass Deine Beteiligung an der Schlussphase der TSS Dich in besonderer Weise bewegt hat, künstlerisch in Zukunft unabhängig zu arbeiten?

Dirk: Kann man eigentlich auch nicht ernsthaft behaupten, wenn man sieht, dass ich bereits 1985 einen Vertrag als Solokünstler bei WEA unterschrieben hab, was ich allerdings sehr schnell bereut habe. In den 1990ern hat es mich dann nochmal gerissen, als ich ein Album für die EMI-Electrola gemacht habe. Nein, erst aus diesen eher deprimierenden Erfahrungen habe ich gelernt, mein Zeug selbst zu produzieren, um dann Leute zu suchen, die das vermarkten wollen und vielleicht sogar können.

Dub-O-Rama: Wie bist Du zum Dub gekommen?

Dirk: Mein langjähriger Freund CARSTEN AGTHE, heute Percussionist bei ORNAH-MENTAL, hat mir in den späten 1990ern einige Mix-Tapes angefertigt, da waren auch zwei Dub-Tapes dabei. Ich habe damals Nächte hindurch Mandalas gemalt und die ideale Ergänzung waren diese Dub-Tapes. They kept me movin´, you know. Gleichzeitig hat es aber nie genervt, wie eben bei andereren Club-Genres oft der Fall, House und so. Da drauf waren dann Acts wie TRANSVISION STEPPERS, SUNS OF ARQA, STEFFE, THE HERB. Ich begriff wieder neu, wie uralt und heilsam diese  Drum´n Bass Patterns  sind. Zuvor hatte ich mit Reggae schon mal so einen Flash, zu New Wave-Zeiten um 1980. Nicht zuletzt durch The POLICE, auch The CLASH, nicht zu vergessen 'jah war' von The RUTS, also durch weiße Adaptionen, aber auch vorher schon durch PETER TOSH u. a. beeinflusst habe ich zu dieser Zeit auch einige Reggae/Rock-Songs komponiert. Aber es kommt im Leben eben vor, dass solche Hochphasen in Vergessenheit geraten und das hat mir in diesem Fall der Dub zurückgebracht.

Dub-O-Rama: Bist Du dabei Dub-Künstlern begegnet oder hast Du Dir das selber beigebracht?

Dirk: Nein, ich habe als Studio-Mann das rumfummeln an den Delays immer schon geliebt - als ich dann diese (damals aktuellen) Dub-Sachen hörte, war mir völlig klar, wie man sowas produziert. Je besser mir die Sachen dann gelangen, desto begeisterter wurde ich davon!

Dub-O-Rama: Du hast gelegentlich bereits einige Live-Konzerte mit ORNAH-MENTAL gegeben. Kommen dabei auch die elektronischen, dubbigen Spiele zum Zuge?

Dirk: Es ist für mich eine besondere Herausforderung und Freude, ORNAH-MENTAL live umzusetzen. Dank aktueller Computerprogramme kann man den Elektro-Anteil auch recht intuitiv einsetzen, und so ist wirklich jedes unserer Konzerte anders, was ja den dubbigen Geist ausmacht. Durch die sehr ornahmentalen Clips, die MARTINA GRÜNEWALD dazu abspielt, ist man als Musiker ganz in die Gesamtatmosphäre eingetaucht und muss sich nicht auf das Publikum konzentrieren. LEANDER REININGHAUS ist ein kongenialer Partner, der auch weit über den Gitarrenhals hinaus das große Ganze im Auge hat. Mit KEMAL KAHRAMAN ist ein vielseitiger Musiker mit einem ganz ungewöhnlichen Background dazugekommen: er singt, spielt Saz, Darabouka und hat sich der Bewahrung der traditionellen Musik seines Volkes, der Alewiten verschrieben. Wenn ich so über unsere Möglichkeiten nachdenke, kann ich nur hoffen, dass wir Zukunft noch öfter gebucht werden!

Dub-O-Rama: Vielen Dank für das ausführliche Interview!

Das Interview führte Bernhard Groha

 

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